Laudatio zum “Gellert”- Preis, Kunstpreis 2001 Delitzsch
Die Bühne ist dunkel.
Geheimnisvolle große schwarze Kästen rollen über die Bühne - wie von
Zauberhand bewegt.
Sie singen mit Carusos Stimme. Ein einsamer hölzerner Finger hackt
unermüdlich und doch
vergeblich auf immer die gleiche Taste am Klavier. Im Hintergrund spuckt
ein seltsamer "Kugelfahrstuhl" unermüdlich Murmeln auf eine Zither,
hüpfend und springend über die Saiten
erreichen diese eine Rinne, die sie aber nur wieder zum "Kugelfahrstuhl"
führt.
Merkwürdige Gebilde hängen von der Decke herab, ein Hammer fällt - scheinbar auf geheimnisvolle Weise
gesteuert - immer wieder auf eine einsame Klaviersaite herab, eine Säge und eine Bohrmaschine
singen hie und da ihr Lied. Und auf einer langen Tafel ist gedeckt für eine Gesellschaft, die doch einen seltsamen
Appetit zu haben scheint. Appetit auf Klänge?
Nein - dies ist nicht das Szenario für einen Lehrfilm übers Gruseln. Wir befinden uns in einer
Vorstellung des Klangkünstlers Erwin Stache. Im Musikabsurritorium. Und jetzt sehen wir ihn
auch, umringt von Hebeln und Schaltern, selbstgebauter Elektronik, die ihre Herkunft aus
ausrangierten Waschmaschinen und Kassettenrekordern nicht verhehlt. Rasant spielt Stache
Klavier, hat aber immer noch ein drittes Auge und eine dritte Hand übrig für die Geräte, Maschinen,
Apparate und Schalter - und für die vierte Hand ist da schließlich noch das Tonband mit der Kurbel.
Man sieht die Geräte ächzen, man hört sie schwitzen. Ein fürchterliches Alien aus dem Universum
entpuppt sich als genial beleuchtete und präparierte Heuwendemaschine umfunktioniert zum
gigantischen Musikinstrument.
Kein Gehäuse verbirgt das Innere, keine philosophische Theorie das Äußere...
Und bei Stache wird nichts weggeworfen, da gibt es nichts, was wertlos ist. Nicht: Alles singt!
Sondern: Alles klingt!
Geräte werden abgehorcht, belauscht, wie sie klingen, Stache entdeckt Klänge und Geräusche
(wo ist da eigentlich die Grenze?), die weder die Geräte selbst noch gar ihre Konstrukteure kannten.
Der verdrängte Klang? Der nebensächliche Klang? Der überflüssige Klang?? Alles wird zum
Instrument im Stach'schen Orchester.
Abgehorcht werden aber auch die Musik und die Sprache. Auch hier nichts, was nicht noch -
obwohl oder vielleicht auch, weil es so abgegriffen ist - im Klangkosmos Verwendung fände.
Das In- Beziehung- Setzen von Dingen, die auf den ersten Blick zu unterschiedlichen ästhetischen
Dimensionen gehören und deren unmittelbarer Kontakt nur ein künstlicher sein kann - so
definierte einst Max Ernst den Surrealismus.
Ist Stache ein Klangsurrealist? Oder eher ein Klangrealist?
Erwin Stache, geboren 1960 in Schlema, Studium von Mathematik, Physik
und Pädagogik.
Musikausbildung in Leipzig. Seit 1983 freischaffender Musiker und
Gerätebauer. Viele Jahre
gemeinsame Projekte mit dem Schauspieler Wolfgang Krause Zwieback.
Zusammenarbeit
mit Henry Schneider bei den alljährlichen Stelzenfestspielen. Konzerte,
Installationen und
Aufführungen in Salzwedel, New York, Rheinsberg, München, Rüdersdorf,
Graz, Nürnberg,
Bern, Beucha, Leipzig, Frankfurt. Ein wenig lugt Staches Schalk in der
Aufzählung seiner
Aktivitäten hervor. Salzwedel und New York. Beides erscheint ihm gleich
wichtig - genauso
gleichwertig wie Computer oder Steuerscheibe aus der Waschmaschine.
Nichts von Hierarchie. Eher eine Demokratie der Dinge, der Orte und der
Klänge. Maschinen zum Selbstbedienen,
"Spiel"-sachen im wahrsten Sinne, Einladungen zum Mitgestalten. Auch
hier keine Hierarchie.
Ein Kreativer auf der Bühne, viele Kreative im Publikum. Ob das dann
immer gleich Kunst wird,
bleibt nebensächlich. Kinder finden den spielerischen Zugang schnell,
Erwachsene suchen immer
erst die mögliche Botschaft: Durch Nacht zum Licht?
Vorbilder?
Sicher, nämlich all jene, die Ideen haben (und diese auch umsetzen
wollen, umsetzen können)
Sicher, nämlich alle die, die nicht vorher schon wissen wollen, wissen
müssen, was entstehen kann.
Die, die neu-gierig sind.
Sicher, nämlich alle die, die nicht ständig nach Vorbildern fragen, nach
fahrenden Zügen, auf die sie
vielleicht aufspringen könnten. Und natürlich alle die, die sich
konsequent zwischen die Stühle setzen.
Denn wo Stache auftritt, ist die Irritation groß, vor allem beim
selbsternannten akademischen
Fachpublikum.
Ist denn das Musik?
Ist denn das Theater?
Ist denn das Kabarett?
Ist denn das bildende Kunst?
Darf eigentlich gelacht werden?
Und was soll das alles bedeuten?
Ja, es darf gelacht werden. Vor allem, wenn sich zusätzlich auch noch Hintergründiges erschließt.
Und über die Bedeutung wird man sich vielleicht erst viel später klar. Denn Staches Bildfolgen und
Klänge verlassen einen so schnell nicht, geben in ihrer Vieldeutigkeit jeder Assoziation freien
Spielraum. Und darauf kommt es schließlich an.